Wow, was für eine Woche. Wir haben unser Video „Wachstum über alles“ veröffentlicht, tolle Konzerte in München und Bückeburg gespielt und viele Rückmeldungen zu unserer Single bekommen. Wir haben viele Gespräche nach den Shows geführt, uns haben hunderte Emails erreicht und unzählige Posts erschienen auf unseren Seiten. Ich bin beeindruckt. Gleichzeitig bin ich aber auch erschüttert. Es war zu erwarten, dass nicht jeder den beißenden Sarkasmus im Lied versteht und nicht hinterfragt, warum wir das Lied der Deutschen zitieren. Es war zu erwarten, dass uns „rechte“ Tendenzen nachgesagt werden. Es war wohl zu erwarten. Aber warum eigentlich?

80 Jahre nach der Machtergreifung und 68 Jahre nach dem Ende des Nazi-Schreckens reagieren immer noch viele Menschen mit einem heftigen Vermeidungs-Reflex auf nationale Symbole, speziell wir Deutschen. Als wir beim Festival am Härtsfeldsee „Wachstum über alles“ spielten, da passierte etwas. Zuerst gingen einige und dann schloss sich eine sichtbare Menge ganz spontan an. Warum? Auf diese Frage erhielt ich bis jetzt keine befriedigende Antwort. Es war nicht, weil die Musik nicht gefiel, es war ein Reflex auf die Tonfolge der Hymne. Es wurde nicht hinterfragt, warum und in welchen Kontext diese Melodie gespielt wurde, es wurde gegangen. Ähnliches erlebe ich auch hier auf Facebook. Da rückt uns jemand in seinem Kommentar in die Nähe rechter bzw. nationalistischer Bands. Ich frage nach, wie er denn darauf kommt – Antwort: Das würden wir schon wissen. Ich frage erneut nach. Keine Antwort. Dieses kurze Zitat steht sinnbildlich für viele Mailwechsel oder Gesprächsfetzen. Warum ist das so?

Diese Frage treibt mich schon eine Woche um und ich spekuliere einmal wild drauflos. Kann es sein, dass es sich dabei um einen konditionierten Reflex handeln? Ein klassisch konditionierter Reflex, wie bei den berühmten Hunden von Iwan Pawlow? Ist es Teil der Erziehung der letzten drei Generationen, dass, sobald ein nationales Symbol um die Ecke biegt, wir nicht mehr denken (können), sondern sofort reagieren, eben reflexartig? Kann es sein, dass wir einen unglaublichen Vermeidungsreflex antrainiert haben? Ich glaube ja. Wenn dem so ist, ist das denn überhaupt gut so? Wollen wir das? Ist das richtig?

Mein erster Impuls ist ganz klar: Ja! Das ist richtig! Bloß keine nationale Identität, keine nationalen Symbole, wir wissen ja wohin das führt. Je länger ich darüber nachdenke desto unsicherer werde ich mir bei meiner ersten Antwort. Ist es wirklich schlau, reflexartig alles abzulehnen und zu vermeiden, was sich mit Nationalem beschäftigt? Wie können wir jemals ein gesundes Verhältnis zu unserer (durchaus furchtbaren!) Vergangenheit aufbauen, wenn wir jede Auseinandersetzung damit vermeiden? Vor allem: Wie können wir an einem neuen und besseren Deutschland arbeiten, wenn wir von vornherein alles ablehnen, was dieses Land, in dem wir nun mal leben, repräsentiert?

Um es an dieser Stelle nochmal klar zu sagen (und eigentlich ist es traurig, das so oft explizit auch tun zu müssen): Wir als Band und ich als Person, wir sind entschiedene Gegner jeglicher rechter, deutsch-nationaler Gedanken. Wir distanzieren uns nicht nur vom braunen Sumpf, wir hätten auch gerne ein schmissiges Lied dazu geschrieben, aber leider gibt es „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten schon und das bringt es wundervoll auf den Punkt. Oder nochmal anders: „Nein ihr braunen Socken, für euch haben wir diese Single ganz bestimmt nicht gemacht.“

Daneben bin ich persönlich der Überzeugung, dass nationales Denken ein großes Problem darstellt. Die Psychologie der Gruppen weiß schon seit über 50 Jahren, dass, wenn es ein „Wir“ gibt, es auch immer „die Anderen“ gibt, und dass wir immer dazu neigen, unsere eigene Gruppe besser zu sehen, zu bevorzugen und im Sinne dieser Gruppe zu agieren, während wir „die Anderen“ unfair behandeln und abwerten. Alleine aus diesem Grund bin ich entschiedener Gegner von zu starken nationalen Symbolen und Bindungen. Was mir aber bleibt, ist die Frage, wie wir zu einem gesunden Umgang mit uns zurückfinden können. Wie können wir gleichermaßen dem Vergessen vorbeugen, fair mit fremden Nationen umgehen und dennoch ein neues eigenes Land aufbauen, das auch seelisch gesund ist? Ich glaube reflexhafte Ablehnung und unreflektierte anti-nationale Bewegungen bringen uns nicht weiter. Wach werden, nachdenken und miteinander sprechen schon eher, vielleicht auch darüber, ob man sich nationalen Symbolen für ein systemkritisches Video bedienen darf, oder es sogar muss? Wie seht ihr das?

Euer Lasterbalk