Regular Edition

Regular Edition

Was ich jetzt schreibe, sollte man wahrscheinlich nicht tun und schon gar nicht in einer Woche des Erfolges. Ich meine, wann geht man schon mal auf Platz Eins in den offiziellen Media Control Charts? Richtig, wahrscheinlich nicht so oft in seinem Leben. Also sollte ich mich jetzt freuen, ich sollte herumtanzen und ich sollte feiern, am besten alle 24 Stunden, die so ein Chart-Wochentag zu bieten hat. Geht aber nicht. Will ich aber nicht. Stattdessen sitze ich hier und schreibe mir Freude, aber auch Frust von der Seele, Freude und Frust, die sich schon länger angestaut haben, die aber nicht abfließen konnten. Noch nicht …

Tatsächlich freue ich mich. Ich freue mich über viele wundervolle Mails und Kommentare. Ich freue mich über Rückmeldungen zum Album, zu meinen Texten, zu unserer Musik. Ich freue mich darüber, dass noch nie so viele Menschen in so kurzer Zeit sich so intensiv mit unserem Werk auseinandergesetzt haben. Ich freue mich über Glückwünsche aus dem Kreis der Kollegen, die eigentlich doch Konkurrenten sein sollten und trotzdem mit uns gebangt haben, die mit uns gefiebert haben, die Wetten abgeschlossen haben und die sich zum Schluss für uns gefreut haben. Und sie waren sich alle einig: „Wenn jemand von uns das verdient hat, dann ihr!“ Wow! Da bleibt mir die Spucke weg, im positiven Sinn, versteht sich. Ich habe noch nicht alle Mails und Kommentare gelesen und verarbeitet, noch viel weniger habe ich alle beantwortet, aber ich freue mich. Ich glaube ich kann diesen Satz gar nicht oft genug schreiben, denn erstens ist er wahr und zweitens sollen alle wundervollen Menschen ihn lesen, alle, die sich mit uns freuen, denen es nicht egal ist, was wir tun und die uns so nehmen wie wir sind. Tatsächlich sind das viele. Es ist die absolute Mehrheit, es sind überwältigend viele. Ich freue mich!

Gleichzeitig kommen Ärger und Wut in mir hoch. Ärger über die unvermeidliche Kommerzdiskussion. Offenbar gibt es ein Naturgesetz, welches vorschreibt, dass – sobald eine Band sichtbar Erfolge vorzuweisen hat – man sie als echter Fan, als echter Kenner oder gar als Szene-Guru auf keinen Fall mehr gut finden darf. Wichtig in diesem Ritual ist auf jeden Fall die grundlose Aufwertung der frühen Werke der Band (egal wie grausig diese sind), gepaart mit einem Verriss des aktuellen Werks (egal wie gut es ist) und, als letztem Ton in diesem Musikverkenner-Dreiklang, eine Hasstirade über die verratenen Ideale der Band, die sich nun endgültig den bösen Göttern des Kommerz verschrieben hat. Schlussakkord in Moll und alle müssen nun ganz doll weinen, weil mal wieder eine Band nicht mehr das tut, was sie will, sondern nur noch das tut, was ein ominöser Produzent oder wahlweise auch die Plattenfirma von ihnen verlangt. Aha. Nun also auch wir.

Ist das so? Mir ist schon klar, dass alle, die es eigentlich angehen sollte, mir bestimmt kein Wort glauben werden. Da ich Windmühlen aber für ernstzunehmende Gegner halte, werde ich mich also einmal mehr aufs Schlachtross schwingen und versuchen, mit diesem Quatsch aufzuräumen. Tatsache ist, dass wir genau die Musik aufgenommen haben, die wir aufnehmen wollten. Wir! Nicht „die“! Tatsache ist, dass es sehr wohl Versuche gab, Einfluss auf unsere Musik und diese CD und vor allem auf die Single zu nehmen. Wir haben uns alles in Ruhe angehört und dann klipp und klar gesagt, was wir wollen. Auf den Hinweis, dass dies nun aber unter Umständen Konsequenzen für die Verkäufe haben könnte, haben wir ebenfalls ganz klar gesagt: „Das ist uns egal!“ Wir wollten diese Single mit genau diesem Lied, mit genau diesem Text und mit genau diesem Video. Und genau das haben wir auch gemacht. Es hat funktioniert. Gut für uns. Wie passt diese wahre Geschichte nun in die Welt der Kommerz-Verschwörungstheoretiker? Richtig, gar nicht.

Limited Version

Limited Version

Doch damit nicht genug. Wir haben auf eigenes Risiko mal wieder unseren Kopf durchgesetzt und was hören wir? Die Musik wird auch immer kommerzieller. Ähm, wie bitte? Leute die es wissen müssen (und die mit ihrer Einschätzung auch durchaus Recht behalten haben) haben uns klar von dieser Musik und von dieser Single abgeraten. Begründung: Das wird nie im Radio laufen und erst recht nie im Fernsehen. Stimmt! Und? Es war uns egal. Kommerzielle Musik und kommerzielle Musiker achten aber peinlich genau darauf, dass ihre Musik in den breiten Medien Anklang findet, doch wir haben genau das Gegenteil davon gemacht. Trotzdem werden wir mit dem gleichen Vorwurf konfrontiert. Wie passt das noch zusammen? Richtig, gar nicht!

Hat sich unsere Musik verändert? Ja, klar hat sie das. Auf jeder CD. Natürlich entwickeln wir uns. Natürlich probieren wir aus. Natürlich bleiben wir nicht stumpf und starr bei einem „Erfolgskonzept“, das sich schon einmal bewährt hat. Gut so will man meinen, doch leider ist diese Rechnung ohne die selbstberufenen Experten für authentische Musik gemacht. Die wissen nämlich zur neuen CD zu sagen: „Das seid doch nicht mehr ihr“ – Bitte? Wer, wenn nicht wir selbst, weiß denn wer wir sind! Ein Veränderung in der Musik oder im Text kann gefallen oder auch nicht. Das ist völlig ok! Uns aber Verrat an uns selbst und unseren Idealen vorzuwerfen, ist schlicht und einfach Blödsinn! Unterm Strich bleibt für mich inzwischen nur noch die Frage übrig, wofür man sich von seinen „Fans“ verprügeln lässt. Entweder man nimmt in Zukunft immer die gleiche CD mit möglichst keiner Entwicklung und Abweichung auf, dann wird man des Stillstandes angeklagt und wegen Ideenlosigkeit verurteilt; oder man entwickelt sich (und nimmt natürlich Rücksicht und Bezug zur eigenen Vergangenheit) und wird wegen Verrats an den eigenen Idealen hingerichtet. Inwieweit ist das denn noch gerecht? Richtig , gar nicht.

Bleibt mir zum Schluss noch, etwas anzusprechen und im Rückblick auf eine neue CD ist es auch nicht verwunderlich: Der Ton! Ja, der Ton macht die Musik – wie wahr. Offensichtlich ist das aber nicht allen unserer Hörer auch klar. Denn was ich da an brutalen Beleidigungen lesen musste, das ist in der Tat nur eins: Unentschuldbar. Wir mögen in der Öffentlichkeit stehen, wir mögen auch Ecken und Kanten haben und wir mögen durchaus auch provokant sein, polarisieren tun wir sowieso – das alles rechtfertigt aber eines nicht: Sich derart im Ton zu vergreifen, wie es immer wieder einige tun. Nur weil man lauter schreit und seine Worte brutaler wählt, hat man nicht automatisch recht!
Ich für meinen Teil habe zwei Dinge gelernt: Ich werde mich über all die schönen, positiven und liebevollen Kommentare mehr freuen. Ich will sie hegen und pflegen und zu meinem Leitbild machen – all die anderen werde ich löschen, nicht nur aus meinem Kopf.

Euer Lasterbalk