JAN hat seinen Bruder durch einen Motorradunfall verloren

JAN
JAN
Leben auf Bewährung, irgendwie fühlt es sich so an… Ich war 17 Jahre alt, als mein Bruder durch einen Motorradunfall ums Leben kam. Man sagt immer, dass mit der Zeit alle Wunden heilen und die Narben verblassen. Nun, ich erinnere mich noch an jedes kleine Detail und jeden Gedanken, den ich hatte. Ein Tag eben, den ich nie vergessen werde und der mich verändert hat. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie mein Leben heute aussehen könnte, wäre das nicht passiert, weil ich für vieles dankbar bin, wie es gekommen ist. Aber andererseits fühle ich mich auch für sehr vieles schuldig.
Diese Schuldgefühle kamen sehr schnell, mischten sich unter die Trauer und das Mitgefühl. Ich war damals hin- und hergerissen. Auf der einen Seite war ich so abgrundtief traurig, konnte aber nicht wirklich etwas davon rauslassen, weil mir meine Eltern, meine Großeltern, einfach alle, die meinen Bruder ebenfalls verloren hatten, so leid taten.
Mein Bruder und ich waren wie Feuer und Wasser. Grundverschieden und eigentlich nie einer Meinung. Aber wir ergänzten uns gegenseitig. Und ich weiß, dass viele Gedanken die ich damals hatte und heute immer noch habe, einfach falsch sind. Doch ich kann sie nicht ändern. So dumm es sich auch anhören mag, ich fühle mich immer noch schuldig, dass ich noch lebe und es ihn „getroffen“ hat. Ich fühle mich schuldig, weil ich nichts Großes schaffe und nie erfahren werde, was er hätte bewegen können. Seit Jahren plagt mich der Gedanke, dass es den Falschen von uns erwischt hat. Und dadurch kam in mir dieser Druck auf. Ich musste doch irgendwas tun. Irgendwas Wertvolles. Aber egal, was ich auch versuchte und unternahm, ich fühlte mich nie gut genug, ich konnte niemals genügen. Und in all der Zeit habe ich verlernt, Erfolge zu feiern. Es ist sogar so, dass mich jeder Misserfolg trauriger macht, als ich mich über zehn Erfolge freuen könnte. Wenn man mich lobte, fühlte ich mich, wie ein Betrüger. Weil ich es einfach nicht verdient habe.
Ich habe eine wundervolle Familie, die mich unterstützt und zu mir steht. Aber ich weiß, dass sie auch sehr viel unter meinen Macken leiden. Ich denke, ich bin manchmal sehr belastend und anstrengend. Und das tut mir auch leid. Aber abstellen kann ich es nicht. Meine Frau sagt immer, ich brauche Bestätigung. Ich wünschte das wäre es. Aber leider ist es nicht so einfach. Eigentlich fühle ich mich immer abgelehnt und alleine. Ich gehöre nirgendwo dazu. Und schon gar nicht hierher. Weil ich nichts leiste, nichts beitrage. An manchen Tagen finde ich nicht mal Gründe, das Haus zu verlassen. Ich zwinge mich dann dazu, weil ich nicht noch unnützer werden will.
Über die Jahre habe ich viele Wege gesucht, irgendwas auf die Beine zu stellen, von dem man sagen kann, dass es etwas bewegt hat. Direkt nach dem Unfall habe ich sehr viel Musik gemacht. Sie wurde mit der Zeit immer düsterer und aggressiver. Aber das war ok für mich, denn prinzipiell war es eigentlich genau das, was ich fühlte. Vielleicht hätte ich mir nur die Stimme nicht so kaputt schreien sollen. Aber rückblickend war es das irgendwie wert.
Negative Gedanken, eigentlich negative Tage, ach was… negative Wochen gibt es. Die bleiben. Und sie werden auch nie verschwinden. Damit habe ich mich abgefunden. Aber ich versuche, in diesen Tiefs anders zu denken. Ich gehe sehr gerne auf Konzerte. Da mein Bruder und ich aber sehr unterschiedliche Geschmäcker bei Musik hatten, würden wir in einer anderen Realität heute wahrscheinlich bei einem Bier darüber diskutieren, wer den größeren „Dreck“ hört.
Vielleicht kann ich nach all diesen Jahren vergessen, dass wir beide uns nie richtig ausgesöhnt haben. Aber eines bereue ich wirklich: Um alles in der Welt hätte ich ihm gerne meine Kids vorstellen wollen, dafür hätte ich wirklich alles gegeben…